Der rationale Staat: weltanschaulich neutral

Gibt es einen Gott? Wer kann diese Frage schon mit Gewissheit beantworten? Manche Menschen neigen dazu, von der Existenz eines Gottes auszugehen. Manche Menschen neigen dazu, von der Nicht-Existenz eines Gottes auszugehen. Manche Menschen meinen, es lässt sich nach jetzigem Kenntnisstand keine abschließende Antwort auf diese Frage geben.

Säkularisierung fehlt

Keinesfalls sollte eine Gruppe der anderen ihre Überzeugung und ihr Weltbild aufdrängen. Und ganz besonders der Staat sollte in dieser Frage neutral sein. Leider ist dies häufig nicht der Fall. Die Interessen nicht-religiöser Menschen werden in vielen Bereichen nicht ausreichend geachtet: In Deutschland müssen nicht-religiöse Menschen kirchliche Institutionen aus Steuergeldern mitfinanzieren. In staatlich finanzierten, aber von der Kirche betriebenen Einrichtungen sind Arbeitnehmer nicht vom Diskriminierungsschutz gedeckt. Darüber hinaus werden Kindern und Jugendlichen in Kindertagesstätten und Schulen weltanschauliche Vorgaben gemacht, anstatt sie zum kritischen und eigenständigen Denken anzuleiten.

In zahlreichen anderen Ländern müssen Atheisten und Agnostiker sogar um Leib und Leben fürchten. Selbst im 21. Jahrhundert, in einem Zeitalter von Informationen, Digitalisierung und Wissenschaft sehen sich nicht-religiöse Menschen, Humanisten und Freidenker weltweit Verfolgung und sogar brutalem Mord ausgesetzt. An diese zutiefst anti-aufklärerische Geisteshaltung in Teilen der Gesellschaft und sogar in zahlreichen Regierungen dieser Welt wollen wir am heutigen Tag der Atheisten erinnern.

Weltanschauliche Neutralität für friedliches Zusammenleben

Ein friedliches Zusammenleben erfordert die weltanschauliche Neutralität des Staates und die gegenseitige Achtung pluralistischer Weltbilder. Verpasste Gelegenheiten für ein Staatswesen, das auf weltanschaulichem Pluralismus und Freidenkertum basiert, gab es schon einige in der Geschichte Deutschlands. Die erste Verfassung für einen deutschen Bundesstaat wurde in der Frankfurter Paulskirche verabschiedet und enthielt keinen Gottesbezug. Damit wäre die jahrhundertelange Rechtfertigung der Adelsherrschaft als von Gott gegeben abgeschüttelt worden. Auch die Weimarer Verfassung enthielt keinen Gottesbezug. Erst in späteren Entwürfen für das Grundgesetz wurde die Erwähnung eines Gottes auf Drängen einzelner Abgeordneter in die Präambel aufgenommen.

Etwas, das sich wissenschaftlich nicht beweisen lässt, sollte nicht zur Legitimation staatlichen Handelns heran gezogen werden. Einzig die Vernunft des Menschen und seine Fähigkeit, in rationaler Abwägung gereifte Entscheidungen zu treffen, sind legitimer Maßstab der Politik.

Die Frage, ob es einen Gott gibt, und, wenn ja, wie er beschaffen ist, konnte in Jahrtausenden Menschheitsgeschichte trotz blutiger Auseinandersetzungen nicht geklärt werden und bleibt der Abwägung eines jeden Individuums überlassen. Für unser Gemeinwesen ist sie schlichtweg irrelevant. Entscheidend ist, dass Menschen einander auf Augenhöhe begegnen und der Welt zugewandt die Probleme unserer Zeit lösen.