Schutz statt Stigma für selbstbestimmte Sexarbeit

Der politische Opportunismus im Zuge der Coronakrise macht leider auch vor der Branche der Sexarbeiter nicht Halt: 16 CDU- und SPD-Bundestagsabgeordnete fordern nun ihr dauerhaftes Verbot.

Die Beschäftigten in diesem Gewerbe – die ohnehin bereits stark von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie betroffen waren – sollen ihrer Berufstätigkeit beraubt werden. Wir widersprechen diesem Vorstoß und lehnen ihn als unzulässigen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung ab.

Hilfe für alle, die Hilfe brauchen

Wir sehen selbstverständlich den Missbrauch in diesem Gewerbe und verurteilen ihn aufs Schärfste. Jede erzwungene sexuelle Handlung ist ein Verbrechen. Es ist jedoch eine absurde und auch kontraproduktive Schlussfolgerung, die freiwillige Sexarbeit deshalb verbieten zu wollen.

Insbesondere die Menschen, die nicht freiwillig, sondern aus ökonomischem Zwang in der Prostitution tätig sind, profitieren von Diskussionen um dauerhafte Verbote überhaupt nicht. Zu viele von ihnen haben keinen Zugang zu unseren allgemeinen Hilfsnetzen oder Corona-spezifischen Maßnahmen. Hier müssen wir ansetzen, Alternativen schaffen und sicherstellen, dass sich niemand prostituieren muss, der das nicht will. Dabei ist auch gestärktes Vertrauen in die Behörden wichtig. Verbote und Stigmata helfen hier nicht.

Stigmatisierung hilft niemandem

Entsprechend verurteilen wir das Brandmarken dieses Gewerbes als angeblichen „Superspreader“ für Viren. Natürlich birgt körperliche Nähe im Allgemeinen ein hohes Ansteckungsrisiko während dieser Pandemie – entsprechend sind viele Aspekte der Sexarbeit davon betroffen. Aus diesem Grund muss die Wiederöffnung von Bordellen so lange warten, bis sie relativ sicher ist; sie muss wie jede andere Maßnahmenlockerung kritisch betrachtet und von notwendigen Auflagen begleitet werden. 

Doch so eine situationsbedingte Einschränkung rechtfertigt kein dauerhaftes Berufsverbot – sonst müssten wir auch diskutieren, Nachtclubs für immer zu schließen. Im Gegenteil enttarnt der Vorstoß in diese Richtung die wahre Motivation der Sexarbeitsgegner. Die Pandemie ist da nur ein angenehmer Vorwand.

Das überrascht leider nicht. Das Thema Sexarbeit ruft hochgradig emotionale Reaktionen hervor; die Fronten scheinen äußerst verhärtet zu sein. Bei allen Meinungsverschiedenheiten müssen wir berücksichtigen, dass Sexarbeiter mündige Mitmenschen sind, die aufgrund traditioneller Ansichten bereits unter zahlreichen Stigmata leiden. In diese unmenschliche Stimmung sollten keinesfalls noch mehr Vorurteile wie Öl ins Feuer gegossen werden.

Regeln für Sexarbeit reformieren

Wer die Regeln für Sexarbeit reformieren will, sollte das besonnen und ohne solche Schmutzkampagnen tun. In so einem Umfeld diskutieren auch wir gerne die Vor- und Nachteile verschiedener Vorschläge. Das schwedische Modell, die bevorzugte Option vieler Sexarbeitsgegner, konnte uns bisher allerdings nicht überzeugen. Das neuseeländische Modell kommt einer nachhaltigen, vernünftigen Lösung deutlich näher.

Klar ist: Es braucht einen neuen Weg, der frei von Stigmata die schützt, die Schutz brauchen, und gleichzeitig die berufliche und sexuelle Selbstbestimmung wahrt.