Kunst: Frei gegen die eigene Meinung

Wegen der abzusehenden Gefährdung der Veranstaltung durch eine potenziell gewaltbereite Gruppe von Menschen wurde die Kabarettistin Lisa Eckhart vom Hamburger “Harbour Front Literaturfestival” ausgeladen. Dieses Ereignis reiht sich ein in eine lange Kette von Versuchen der Repression der Künste von verschiedenen Seiten. Doch Kunst muss frei sein, um ihre gesellschaftliche Funktion zu erfüllen. Ein Plädoyer.

Eigentlich hätte die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart am 14. September im “Nochtspeicher” in Hamburg anlässlich des “Harbour Front Literaturfestivals” eine Lesung zu ihrem demnächst erscheinenden Roman “Omama” halten sollen. Mit eben jenem Roman war sie für den “Klaus-Michael-Kühne-Preis” des Festivals nominiert.

Wie der Spiegel jedoch berichtete, hätten die Verantwortlichen des “Nochtspeichers” im Juli per Mail bei der Leitung des Literaturfestivals Sicherheitsbedenken angemeldet. Zitat Spiegel: „Man sehe sich außerstande, im Falle einer Lesung die „Sicherheit der Besucher und der Künstlerin“ zu gewährleisten. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Es ist unseres Erachtens sinnlos, eine Veranstaltung anzusetzen, bei der klar ist, dass sie gesprengt werden wird, und sogar Sach- und Personenschäden wahrscheinlich sind. Wir haben in den letzten Tagen bereits aus der Nachbarschaft gehört, dass sich der Protest schon formiert“. Im „bekanntlich höchst linken Viertel“ werde eine solche Veranstaltung nicht geduldet, auch an Polizeischutz sei nicht zu denken, weil „die Situation dann sogar noch eskalieren und gar zu Straßenscharmützeln führen“ könne.“

Der „Nochtspeicher“ ließ verlauten: “Angesichts der Erfahrung mit der MartensteinLesung und nach besorgten Warnungen aus der Nachbarschaft (nicht, wie inzwischen kolportiert, „Drohungen“) waren wir uns sicher, daß die Lesung mit Lisa Eckhart gesprengt werden würde, und zwar möglicherweise unter Gefährdung der Beteiligten, Literaten wie Publikum.

Nikolaus Hansen, Gründer und Organisator des Literaturfestivals sagte dazu: „Mich erinnert das an Weimarer Verhältnisse. Wir weichen einer Gewalt, aber es gibt auch keinen eleganten Weg, der Gewalt nicht zu weichen.“

Stein des Anstoßes war das Stück „Die heilige Kuh hat BSE“ von Eckhart, welches sie 2018 in der Sendung “Mitternachtsspitzen” des WDR vorgetragen hatte und über das sich unter anderen Samira El Ouassil im SPIEGEL und Hengameh Yaghoobifarah (ja, die Kolumnist_in mit dem “Müll”-Shitstorm) in der taz empörten. Seitdem wird Eckhart in den Medien als “umstritten” beschrieben und ihr vorgeworfen, rassistische und antisemitische Klischees zu bedienen. Wer Eckharts Stück aufmerksam verfolgt hat, könnte jetzt natürlich noch augenzwinkernd einwerfen, dass für eine korrekte Aufzählung noch die Adjektive “frauenfeindlich, homophob, pädophilieverherrlichend, behindertenfeindlich und religionsfeindlich (auch wenn die christliche Kirche wohl erst in einigen Jahren Minderheitenstatus für sich wird beanspruchen dürfen)” fehlen würden und ob diese etwa weniger “wert” wären, sofern sie denn zuträfen, aber darüber darf man keine Witze machen… oder?

Das Wesen der Kunst

Kunst ist Enthüllung und Darstellung, ein Spiel mit Erwartungen und Perspektiven, Kontrast und Gegenbild, Verzerrung und Verklärung. Kunst wirkt durch sein Publikum, das sie interpretiert, auslegt, aufnimmt und weitergibt. Oder anders gesagt: Jeder betrachtet Kunst durch die eigene Weltsicht. Jeder wird in ihr etwas Eigenes sehen.

Wer sich auf Kunst einlässt, der kann mit ihr auch eine neue Sicht auf die eigene Welt erlangen und sich auch über die eigene Interpretation dieser klarer werden. Wer in der Kunst aber nur stets versucht die eigene Sicht wiederzufinden oder blindlings und reflexhaft gegen die Ecke rennt, die man sich anschickte zu umdenken, der verpasst bestenfalls etwas. Schlimmstenfalls wird versucht, der Kunst die eigene Sicht aufzuzwingen und jene niederzumachen, die man als Feinde wähnt. Die Krönung dieser Praxis ist das aus dem Kontext reißen einzelner Versatzstücke, um diese unbedarft oder mit Vorsatz bis zur Unkenntlichkeit des Gesamtwerkes zu Sezieren.

Doch wer die Kunst vereinnahmt und sie zur bloßen Darstellung von etwas missbraucht, der befindet sich schnell in historischer Gesellschaft von Herrschern und geistigen Oberhäuptern, von Despoten und Tyrannen, von Diktatoren und ihren Spindoktoren. Sich über diese Vereinnahmung zu erheben war eine der wichtigsten Errungenschaften unserer demokratischen Gesellschaft: die Kunst- und Meinungsfreiheit.

Die Funktion der Kunst

Wir hatten erkannt, dass nur wenn Gedanken, Ideen, Meinungen und Perspektiven frei sind, eine Gesellschaft als Ganzes frei sein kann. Wir hatten erkannt, dass Diskurs und Kritik die wichtigsten Impfungen gegen ein totalitäres System sind, in dem wiederkehrende eigene Lobpreisungen blind für Fehler machen.

Jede Zeit hatte ihre Künstler, die mal offener und mal weniger offen Kritik übten, Diskurse führten, Perspektiven aufzeigten und gegen das rebellierten, was sie für schlecht ansahen. Selbst im Mittelalter hatten Könige einen “Narren” am Hofe, der als Institution der Kritik seinen Herren stets an die eigene Fehlbarkeit erinnern sollte, während in den niederen Schichten sowieso das Wort sehr offen geführt wurde.

Aus den Narren des Mittelalters und den Polemikern des antiken Griechenlands wurden Künstler und Kabarettisten, Satiriker und Kolumnisten. Aus der Narrenfreiheit wurde die Kunst- und Meinungsfreiheit, ein verbrieftes Recht auf Kritik, ein hohes Prinzip und eine Säule der Demokratie.

Warum Kunst nicht vereinnahmt werden darf

Satire und Kabarett sind Kunst und müssen als solche nicht wissenschaftlich, grammatikalisch oder politisch “richtig” sein. Gerade die Satire als Kunstform der Kritik und gesellschaftlicher Selbstreflexion sollte unangenehm sein, den Finger in die Wunde legen, uns den Spiegel vorhalten, auch wenn wir erschrecken vor dem Bild, das sich dort offenbart. Sie darf provozieren, sie darf stachelig und böse, geschmack- und niveaulos, handwerklich schlecht und flach sein. Sie darf mit unseren Erwartungen brechen und uns sauer aufstoßen. Sie darf uns erzürnen und motivieren, uns zu höchsten Gefühlen anregen und auf niederste Triebe hinweisen. Sie darf alles, doch sie soll uns bewegen.

Wie langweilig und wenig hilfreich wäre eine Kunst des Erwartbaren? Was anderes als ein Mitverantwortlicher für den Zerfall ist ein Narr, der seinem König nur stets schöne Worte flüstert? Was anderes als eine Fessel des Status quo ist ein Kabarettist, der nur allgemeinen Konsens predigt?

Kunst als Kritikform muss eine Gesellschaft in Bewegung versetzen. Im besten Falle schafft sie das, wozu wir uns im Alltag selbst weder Zeit lassen, noch uns trauen: Sie spiegelt unser Innerstes, sodass wir an uns selbst wachsen können. Im schlechtesten Falle schafft sie das, was wir uns im Korsett der Gesellschaft und sozialen Normen zu oft nicht trauen: Sie spiegelt unser Innerstes, sodass wir an uns selbst wachsen können.

Doch muss sie sich nicht stets ausschließlich gegen die “herrschende Klasse” wenden, wie manche so gerne einwenden, die die Welt kurzerhand in Täter und Opfer, Unterdrückte und Unterdrücker aufteilen? Nein, sie darf sich sogar nicht auf diese Funktion verengen lassen, würde sie sich doch dabei nur zum Werkzeug der Politik machen lassen und wäre damit erneut nicht frei. Denn wer garantiert, hier auch die wirklichen Unterdrücker, die wirklich richtige Meinung, die wirklich beste Ansicht und die wirklich nobelste Absicht gefunden zu haben? Wer kann zweifelsfrei garantieren, mit der Einschränkung und Zweckbindung der Kunst nicht den gewundenen Weg in die Hölle eingeschlagen zu haben? Wer kann garantieren, über jeden Zweifel erhaben zu sein?

Wer all diese Fragen mit einem “Ich”, “Wir” oder “meine Gruppe” beantwortet, bestätigt damit bereits die absolute Notwendigkeit der Freiheit von Kunst mit einem hervorragenden Beispiel.

Kunst”Fehler”

Denn auch wenn man sich heute noch auf der Seite der Verteidiger dessen wähnt, was gut und richtig ist, so kann sich das eigene Argument schneller gegen einen wenden, als man „Volksverhetzung“ und „berufsunfähig“ buchstabieren kann. Wer die Berechtigung von Kunst an der Nähe zur eigenen Weltsicht bemisst, kann sich schwerlich dagegen verwehren, wenn das andere ebenso handhaben.

Egal also, ob die eingangs erwähnte Mitarbeiter_in der taz Polizisten auf Müllhalden schreibt und dafür von einem Teil der Gesellschaft angefeindet und angezeigt wird;

egal ob ein Böhmermann mit einem Schmähgedicht einen ausländischen Präsidenten verspottet und eine Staatsaffäre lostritt;

egal ob ein Dieter Nuhr über die vermuteten winterlichen Heizungsgewohnheiten der Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Greta Thunberg, witzelt und dafür einen riesigen Shitstorm erntet und an die Seite der AfD gewähnt wird;

egal ob Aktivisten eine Kopie des “Denkmals der Schande” auf dem Nachbargrundstück eines AfD-Politikers errichten und dieser mit seiner Partei alles daransetzen will “dass diese sogenannten Künstler zur Rechenschaft gezogen werden”;

egal ob ein Serdar Somuncu Vorwürfe des Rassismus umgeht, indem er einfach alles und jeden beleidigt, aus “Mein Kampf” vorgelesen hat und deshalb Bomben- und Morddrohungen an ihn ergingen;

und egal ob eine Lisa Eckhart das Spiel mit grotesk überzeichneten Stereotypen als Vehikel der Kritik nutzt, um damit einem Teil der Gesellschaft mit einfacher Weltsicht von Opfern und Tätern, von guten und bösen Menschen, den Spiegel ebenso wie denjenigen vorzuhalten, die diese Stereotype heimlich oder offen pflegen und dafür angefeindet und ihr Auftritt abgesagt wird;

Kunst darf sich nicht zum Werkzeug oder Unterlegenen der Politik machen lassen!

Egal ob diese Politik im Innenministerium, der Roten Flora oder der Wolfsschanze 2 sitzt. Egal ob ihr Mittel der Wahl die juristische Klage, das Verbot oder die stumpfe Gewalt und Drohung ist und egal ob das anstrengend und schwierig, bisweilen sogar unangenehm und peinlich ist diese Freiheit selbst für den größten Querschläger und geistigen Spritsparer der Zunft verteidigen zu müssen;

Kunst muss frei sein, denn nur in der Freiheit der Kunst kann sie wachsen und auch der Gesellschaft einen Dienst erweisen, indem sie uns den Spiegel vorhält und neue Perspektiven aufzeigt, egal ob wir diese mögen oder nicht. Die Alternative dazu heißt Unfreiheit.